Umfrage zur finanziellen Lage sozialer Arbeit: Wohlfahrtsverbände warnen vor Zusammenbruch sozialer Infrastruktur
Viele soziale Angebote in ganz Deutschland drohen vollständig wegzubrechen, da gestiegene Kosten finanziell nicht ausreichend kompensiert werden können. Trotz steigender Nachfrage mussten vielerorts bereits Angebote und Hilfen eingeschränkt bzw. reduziert oder sogar ganz eingestellt werden. Darüber hinaus drohen kurzfristig weitere Kürzungen ihrer Einnahmen. Das sind die erschütternden Befunde einer bundesweiten Umfrage von Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Diakonie Deutschland und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, an der sich mehr als 2.700 gemeinnützige Organisationen und Einrichtungen aus dem gesamten Spektrum sozialer Arbeit beteiligten. Die Wohlfahrtsverbände warnen, dass sich hier eine Katastrophe für die soziale Infrastruktur anbahne und fordern den Bund auf, von angekündigten Haushaltskürzungen Abstand zu nehmen. Was es jetzt brauche, seien zudem eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Kommunen sowie einen ambitionierten steuer- und finanzpolitischen Kurswechsel.
Insgesamt verzeichnen die befragten Einrichtungen eine Kostensteigerung um durchschnittlich 16 Prozent seit Anfang 2022. Die Ergebnisse belegen, dass in der Praxis kaum ein Weg unversucht bleibt, aus eigenen Kräften die schwierige finanzielle Lage zu bewältigen. Fast jede dritte befragte Einrichtung musste zur Kompensation sogar Personal abbauen bzw. plant Entlassungen. Auch die Möglichkeit, Kostensteigerungen durch höhere Beiträge für Nutzer*innen auszugleichen, scheint weitgehend ausgereizt und führt bereits zu ersten Verwerfungen. Laut der Problemanzeigen aus der Praxis können sich viele, die besonders auf Unterstützung angewiesen sind, Angebote inzwischen nicht mehr leisten, und in der Praxis komme es zu Unterversorgungslagen und neuen Ausschlüssen.
Gemäß den Umfrageergebnissen waren in Rheinland-Pfalz bereits fast 30 Prozent der befragten Organisationen und Einrichtungen gezwungen, aufgrund finanzieller Engpässe die Bereitstellung von Dienstleistungen und Angeboten für Klient*innen einzuschränken oder ganz einzustellen. Im benachbarten Saarland betrifft dies 33 Prozent der Befragten. Ebenfalls beunruhigend ist die Tatsache, dass 58 Prozent der Befragten in Rheinland-Pfalz und 43 Prozent im Saarland erwarten, in naher Zukunft weitere Kürzungen bei ihren Dienstleistungen und Angeboten vornehmen zu müssen.
59 Prozent aller Befragten rechnen in den kommenden Monaten mit (weiteren) Einschnitten auf der Einnahmeseite. Im Ergebnis bedeutet das sowohl quantitative als auch qualitative Einschränkungen zu Lasten der sozialen Infrastruktur. Sollte hier nicht entschlossen gegengesteuert werden, hätte dies “enorme Konsequenzen für unser Gemeinwesen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und all jene Menschen, die in schwieriger Lebenslage auf Hilfe, Beratung, Unterstützung und einen stabilen Sozialstaat angewiesen sind”, warnen die Wohlfahrtsverbände.
Die teilstandardisierte Online-Umfrage fand im Zeitraum vom 29. September bis zum 10. Oktober 2023 statt. Der Rücklauf von 2772 validen Fragebögen war trotz der Kurzfristigkeit groß. Insgesamt sind in den teilnehmenden Organisationen/Einrichtungen mehr als 261.721 Menschen beschäftigt. Im Tagesdurchschnitt werden durch die befragten Organisationen/Einrichtungen insgesamt rund 377.112 Menschen beraten, betreut oder versorgt. Aus Rheinland-Pfalz nahmen 107 Organisationen an der Umfrage teil, das Saarland war mit 21 Organisationen vertreten.
Eindringlich verdeutlicht Michael Hamm, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Landesverbands Rheinland-Pfalz/Saarland, anhand der Umfrageergebnisse die alarmierende Brisanz der Situation: „Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, wie erschreckend fragil die soziale Infrastruktur heute schon ist. Die geplanten Kürzungen führen unweigerlich zu weiteren qualitativen und quantitativen Einschränkungen der Angebote – mit verheerenden Folgen für die Menschen, die auf die Leistungen angewiesen sind. Ganz abgesehen davon, dass die geplanten Kürzungen in den Freiwilligendiensten ein Schlag ins Gesicht derer sind, die sich im FSJ und BFD engagieren.“